Befreie deinen Geist!

Wann hast du zuletzt ein Gedicht auswendig gelernt? Das habe ich kürzlich meine Follower auf Instagram gefragt. Bei 80 Prozent war das Jahre her. Und auch ich kann mich kaum mehr erinnern, wann ich mich zuletzt intensiv mit einem Gedicht beschäftigt habe. 

Fitness fürs Gehirn

Dabei kann das Auswendiglernen von Gedichten sehr positive Auswirkungen auf Geist und Seele haben. Zum einen ist Auswendiglernen pure Fitness für unser Gehirn, wie Lernforscher Martin Schuster in einem Interview mit dem Landwirtschaftlichen Wochenblatt betont. Zum anderen habe ein Gedicht “die Kraft, die Seele anzurühren, den Klang der Sprache hörbar zu machen und einen Augenblick des Innehaltens zu schenken”, wie Schuster weiter ausführt.

Die Worte zu Herzen nehmen

Im Englischen heißt “Auswendiglernen” to “learn by heart”. Das Gedicht geht uns also im wahrsten Sinne des Wortes zu Herzen. Und tatsächlich ist das für mich auch der beste Weg, um etwas auswendig zu lernen: Mich dem Inhalt wirklich zu öffnen und ihn auf einer tieferen Ebene in mich aufzunehmen. 

Insofern ist das Auswendiglernen auch eine ausgezeichnete Übung in Achtsamkeit. Du kannst beim ersten Durchlesen nachspüren, wie das Gedicht als Ganzes auf dich wirkt. Dann gehst du das Gedicht erst Reim für Reim, dann Zeile für Zeile und schließlich Wort für Wort durch und beobachtest, was dabei in dir geschieht. Eine völlig neue Dimension eröffnet sich dir, wenn du das Gedicht tatsächlich auswendig sprichst, dich also vom geschriebenen Wort lösen kannst. Beobachte, wie du die Wörter betonst, was der Klang deiner Stimme in dir auslöst. 

Verinnerlichen in der Meditation

Noch intensiver wird die Erfahrung, wenn du das Gedicht in deine Meditationspraxis integrierst. Ich habe mich mit dem Gedicht “Der Panther” von Rainer Maria Rilke beschäftigt. 

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke: Der Panther im Jardin des Plantes, 1902/03 (https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Panther)

Um das Gedicht zu verinnerlichen, habe ich es ein paar Tage während meiner täglichen Meditation rezitiert und die Verse mit meinem Atem verbunden. Anschließend habe ich eine Meditationseinheit dafür genutzt, buchstäblich über das Gedicht zu meditieren. Ich bin es also Vers für Vers durchgegangen und habe mir den Inhalt so lebhaft wie möglich vor Augen geführt: Den Käfig, die Stäbe, die Raubtierschritte, den Vorhang vor der Pupille, das Bild, wie es durch den Katzenkörper fließt, das Herz, das das Bild aufnimmt, sodass es schließlich erlischt. Das alleine war schon eine richtig tolle Erfahrung! Am nächsten Tag habe ich mir das Gedicht zu Beginn der Meditation wieder aufgesagt und in mich hinein gespürt, was es für mich auf einer tieferen Ebene bedeutet.

In mir kamen vor allem die folgenden Fragen hoch: 

  • Welche Gitterstäbe halten uns zurück? 
  • Gibt es einen Weg aus dem Gefängnis unserer Gedanken? 
  • Wie kann Achtsamkeit uns helfen, unseren Geist zu befreien? 

Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, hör die aktuelle Folge Nr. 40 auf meinem Podcast “Meditation für mich”. Hier findest du eine Übersicht, wo du den Podcast abrufen kannst. 

4 Tipps fürs Meditieren über ein Gedicht

Neugierig geworden? Probiere es doch mal selbst aus, ein Gedicht in deine Meditationspraxis zu integrieren. Hier kommen vier Schritte, wie das am besten funktioniert:

  1. Lerne ein Gedicht auswendig. Gute Tipps, wie das am besten gelingt, findest du im Interview mit Lernforscher Schubert. 
  2. Sobald du es auswendig kannst, rezitiere es während der Meditation und atme im Rhythmus des Gedichts.
  3. In deiner nächsten Meditationseinheit führe dir den Inhalt des Gedichts so lebhaft und detailliert wie möglich vor Augen.
  4. Abschließend lasse das Gedicht im Ganzen auf dich wirken. Spricht es zu dir? Hör genau hin. 

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